Aktionen der Diakonie Allgäu zum Tag der Wohnungslosen Menschen

Die Barber Angels schneiden vor der Bahnhofsmission Lindau Haare und in den Notunterkünften der Reinhartserstraße in Kempten kam die Politik zum Grillfest mit Austausch

Zwei sehr unterschiedliche Aktionen aber dasselbe Anliegen: Nämlich die Not wohnungsloser Menschen sichtbar zu machen und Vorbehalte gegenüber dieser immer größer werdenden bedürftigen Personengruppe in unserer Gesellschaft abzubauen.

 

Mit Gefühl und viel Zuwendung

In Lindau gab es viel Gänsehaut Feeling. Eine Frau ließ sich überhaupt erst zum 2. Mal in ihrem ganzen Leben die Haare schneiden. Allein nur das Haare Kämmen, jagte der Frau Gänsehaut über die Arme. Und eine andere Person war von ihrem neuen Anblick so überrascht und berührt, dass sie in Tränen ausbrach. Wie viel Freude und ein lang vermisstes gutes Gefühl für sich selbst lässt sich doch mit so einem Haarschnitt bewirken! Ein kleines Wunder des Alltags. Das Team der Barber Angels war selbst ganz berührt und sagte spontan zu, künftig zwei Mal im Jahr nach Lindau zu kommen. Ilka Thurau von der Fachstelle der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Allgäu in Lindau, die diesen Aktionstag gemeinsam mit der Bahnhofsmission organisiert hatte, ist hoch zufrieden. Darüber, dass doch im Kleinen mit solchen Momenten des Gesehen und Gehört werden den Obdachlosen und anderen wohnungslosen Menschen etwas mehr Zuversicht geschenkt werden kann. Zudem ist der langsame Vertrauensaufbau nicht zu unterschätzen, der auf diese Weise in Gang kommt und für die Arbeit der Wohnungsnotfallhilfe eine zentrale Voraussetzung ist. Ilka Thuraus Fazit zum Tag der Wohnungslosen Menschen: „Der Aktionstag war ein guter und wertvoller Auftakt, um mehr Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit wie auch in der Politik zu generieren und für das Thema weiter zu sensibilisieren sowie den dringenden Handlungsbedarf deutlich zu machen.“

Mit Wunschzettel und viel Hinhören und Gespräch

In Kempten war die Stoßrichtung eine andere, eine mehr Offizielle. Mit dem Anliegen, dass die Akteure der Stadt, des Unterstützernetzwerks und die Bewohner der Notunterkünfte in einen gemeinsamen Austausch kommen sollten. Darüber, was es braucht, um die äußerst prekären Lebensverhältnisse dieser Menschen zu verbessern und ihnen eine Chance zur Rückkehr auf den allgemeinen Wohnungsmarkt und damit zurück in ein echtes Leben zu geben. Denn, wie Stefan Gutermann (Vorstand Diakonie Allgäu) bei der Begrüßung in der Reinhartserstraße deutlich machte, ist Wohnen ein Menschenrecht. Ein Recht auf angemessenes Wohnen ist sogar im UN-Sozialpakt verbrieft. Und wie im Verlauf dieses „Get Together“ deutlich wurde, liegt die Betonung hier auf „angemessen“. Oft, zu oft und besonders eindringlich war an diesem Tag zu hören, dass die Wohnverhältnisse schwer zumutbar sind. Eigentum, Sicherheit, Privatsphäre, Ruhe – dies sind alles Fremdwörter in diesen Unterkünften. Wer hier leben muss, rutscht in der Regel noch weiter ab, wird psychisch krank oder entwickelt ein Suchtproblem. Das sind auch die Beobachtungen der Suchtberatung „Talk Inn“ der Caritas in Kempten. Diese ist ebenfalls mit ihrem dreiköpfigen Team regelmäßig zwei Mal die Woche vor Ort präsent und begleitet die Menschen dort. Der Oberbürgermeister der Stadt Kempten, Thomas Kiechle, sowie der Sozialreferent Thomas Baier-Regnery und der Leiter des Amtes für soziale Leistungen und Hilfen, Florian Höld, hörten aufmerksam zu und waren viel im Gespräch. OB Kiechle warb bei seinem Begrüßungswort einerseits um Verständnis hinsichtlich der enormen - weil auf kommunaler Ebene allein nicht zu lösenden – Herausforderungen.  Er adressierte die Bewohner persönlich als „Menschen, die es wirklich nicht einfach haben. Sie können mir glauben, diese extrem angespannte Situation beschäftigt uns täglich.“ Sein Wunsch sei es, dass man zu einer realistischen Betrachtung der Wohnungslosen und deren Multiproblemlagen findet. Was eben auch bedeute, dass man sie als Menschen unter Menschen sieht, und eben nicht verkürzt und steril als Zumutung betrachtet. Sarah Piersig und Simon Ried von der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie Allgäu in Kempten waren dankbar für den politischen Besuch und den reichlich gefüllten Wunsch- respektive Ideenzettel, der auf einer großen Stellwand für alle Besucher zum Befüllen aufgehängt war.

 

Die Wohnungsnot in Deutschland und eben bei uns vor Ort in den Städten – so das Ergebnis dieses Aktionstags – ist eine äußert komplexe Gemengelage, die sich weiter verschärft und eine wesentlich forciertere wie gebündelte Anstrengung seitens des Bundes und der Länder bräuchte. Die Städte und Kommunen sind mit der extremen Knappheit an bezahlbaren Wohnraum allein gelassen. Diesen zu generieren, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.